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Berlin, Joachimstaler Straße: Synagoge unbewacht

Sohn#1 (Baruch) und ich hatten vergangene Nacht Der Pate gesehen, und irgendwie erinnerte diese Szene mit der unbewachten Synagoge verdammt an diesen Film, zumindest mich. OK, es gabe nicht wie beim Paten diese im Raume schwebende Gefahr. Aber wir waren im Jahr 2010, und ich hatte nicht den großen jüdisch-israelisch-palästinensischen Friedensschluss verpasst, da war ich mir ganz sicher. Solche Gedanken hatte ich im Zeitraffer tatsächlich.
Sohn#1 meinte nur lapidar: Hier ist doch nicht Amerika. Auf Nachbefrage meinte er “wegen Gewalt” und so. Da hatte er natürlich zum Glück Recht. Er meinte auch noch: “Hast du keine anderen Hobbys?” Wo er das wohl aufgeschnappt hat? Deser (B)engel weiß doch, dass ich eine Menge anderer Hobby habe.
Ich konnte es aber trotzdem nicht fassen. Nicht wegen der mehr oder weniger latenten Gefahr, sondern weil man hier 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag, bei eisigster Kälte mindestens einen Polizisten sieht, je nachdem schwer oder leicht bewaffnet. Echt: bei eisigster Kälte, am Heiligen Abend und in der Sylvester-Nacht. Einfach immer.
Ich hätte das zu diesem Zeitpunkt photographieren müssen.
Immer noch erstaunt gehen wir zu unserem Lidl. Und im Hinterhof treffen wir 2 Kaffee-trinkende Polizisten. Ich saß etwas auf der Leitung, und meinte noch zu denen, dass ich ihre Kollegen vorne an der Synagoge vermisste hätte:

  • Ach …, ich habe vorne an der Synagoge ihr Kollegen vermisst.

und der eine meinte noch wörtlich zurück (und daran wird auch keine wiederholte Befragung oder eine Bedrohung in einem dunklen Hinterhof etwas ändern):

  • “Ach, das ist schon ganz in Ordnung.”

Ähm, noch nie hat die Polizei den verrammelten Hintereingang der Synagoge so scharf bewacht wie genau jetzt, drücken wir’s mal so aus.
Und das Statement des Polizisten hatte bei Lichte besehen schon etwas Dreistes, nicht wahr?


OK, Einkauf beim Lidl, Rückweg. Sag ich noch zu Sohn#1: “Es könnte jetzt ungemütlich werden; wenn du nichts damit zu tun haben willst, dann halte dich etwas entfernt.” Ich faselte auch noch etwas von Solidarität, aber auch dass er sich unter diesen Umständen nicht verpflichtet fühlen müsse. Aber das hat er sowieso nicht mehr gehört. Ich hoffe, ich werde das zu Sohn#2 in diesem Stil nie sagen müssen und er wird sich auch nie für mich unter solchen Umständen schämen müssen. Ich denke, ich werde dieses Jahr an Rosh haShana anfangen, mit ihm gelegentlich in die Synagoge zu gehen. Da wird er von selbst eine andere Perspektive einnehmen. Aber Sohn#2 hat eben auch einen leicht anderen Stammbaum als Sohn#1. Und er wird der Bundeswehr ziemlich sicher auch nichts als erstes und pflichtmäßig dienen. Vielleicht findet er eines Tages ja mal Gefallen daran, denen zu seiner Zeit das eine oder andere beizubringen, aber aus der Erfahrung eines braungebrannten, erprobten, verdienten, ausgezeichneten und anerkannten Recken (mit Sonnenbrille (ROTFL)) heraus.


Die Dinge nahmen Ihren Lauf …
Ich also mit dem erhobenen iPhone an der Synagoge vorbei, die Synagoge anvisiert, die Polizisten anvisiert, ihren PKW anvisiert, ich mich wieder entfernt und dann war’s natürlich soweit: Die Staatsgewalt fühlte sich provoziert und unter Beschuss.

  • Bleiben Sie (bitte?!?) stehen!
  • Nein.

Hab ich echt gesagt. Wusste natürlich, dass ich das unter keinen Umständen durchhalten durfte. Aber man braucht ja gegenüber so einem jungen Hüpfer nicht gleich nachgeben, wa?!?
Ein paar hastige Schritte weitergegangen, ich wollte in der Nähe von vielen Leuten stehen und nicht mitten auf der Straße. Neben Vapiano war gut, da würden es viele Leute sehen, wenn der Polizist grob oder unhöflich würde. Stehen geblieben. Einkaufstasche abgestellt. Umgedreht. Der Gefahr ins Auge sehen. Grundstellung, krav-maga-mäßig gesehen: in der “nicht-agressiven Variante”.

  • “Haben Sie da jetzt dieses ‘Sicherheitsobjekt’ photographiert (nicht OK!!!) 
  • oder das Auto?”
  • “Das Auto.”

Umgedreht, ein paar Schritte weitergegangen, nochmal umgedreht:

  • “Mindestens das Auto…”

Der Polizist war nicht grob oder unhöflich geworden, während ich quasi vor der Küche von Vapiano stand. Glück gehabt, wir wissen, das kann auch anders ausgehen. Manch einem kocht schon mal das Gemüt hoch, wenn da in der Wunde gerührt wird und einer nicht still ist, wenn der Wachmann sagt, dass schon alles gut ist und einen die Geschichte nichts angeht.

(Nota bene: Nur falls jetzt einer oder mehrere auf den Gedanken kommen sollten, meine Bilder, so es denn überhaupt welche gibt, exklusiv besitzen zu wollen oder meinen Besitz kurzfristig und auf Dauer zu beenden: Alle meine privaten Daten sind maximal verschlüsselt auf mehreren Festplatten. Und zwar nicht dateiweise sondern partitionsweise. An sie zu kommen geht nur über Beugehaft. Denkt nicht mal dran, ihr macht euch nur lächerlich! Einfach nur lächerlich! Und zwar gewaltig.)

Weitergegangen, mal über die Schulter zurückgegangen. Situation war erst einmal zu Ende.

In den nächsten Minuten und Stunden diverse Leute angesprochen und konsultiert. Unzählige Male Phrasen wie Bürgerpflicht und responsabilité citoyenne in den Mund genommen. Juristische Meinungen eingeholt. A. meinte, sie würde den passenden Haftbefehl gegen mich jedenfalls wegen so etwas nicht unterschreiben. Aber wir wissen ja: 3 Juristen, 10 Meinungen. A. kichert.
Nein, auch das Sicherheitsobjekt zu photographieren könnte nur den Eigentümer stören, nicht einen frevelnden Polizisten oder zwei. Und, nein, die Polizisten würden das Vorkommnis wohl nicht als Denkzettel bezüglich ihrer vermuteten Pflichtnachlässigkeit auffassen, ein Denkzettel wäre es wohl erst für sie, wenn sie ihr Vorgesetzter darauf “ansprechen” würde.
Ich solle mich nicht mit jedem anlegen, meinte auch jemand. Die Brasilianerinnen werden schier verrückt, wenn ich ihnen von der Sache erzähle, sie regen sich mächtig über mich auf. An gewisse frühere Arbeitgeber ihrerseits wage ich gewöhnlich nicht zu erinnern…


Nun, ich habe auch echt nicht direkt vor, mich mit jedem anzulegen. Aber man muss schon gelegentlich die Grenzen und die Pflichten und all das abstecken. Und weil das genügend Leute heutzutage machen, wird 2033 nicht so sein wie 1933, denke ich. Und es wird auch vorher und nachher in Deutschland nie mehr so werden wie 1933 bis 1945, hoffe ich.


Ich erwarte jetzt eigentlich, dass hier ein Beauftragter des Polizeipräsidenten von Berlin sein Bedauern ausdrückt, ganz ohne Schmuh, ich meine: völlig ohne Schmuh, ansonsten kommt das nicht durch meine Kommentar-Moderation. Und ich habe auch keinen Bedarf auf ein Gespräch unter 4 oder 6 Augen oder so, oder auf eine rein persönliche Erklärung. Dieser Kollegen warten jetzt auf eine Abmahnung, und die Bestätigung dafür will ich genau hier als Kommentar lesen. Diese Jungs sollen ihren Job gut machen, und abwechselnd pinkeln und Kaffee-trinken gehen. Und nicht alle auf einmal. Wenn der Polizei-Präsident sich nicht meldet, dann zeigt das nur, dass er seinen Laden und das Image der Berliner Polizei nicht im Griff hat. Ich wünsche mir allerdings sehr, dass er es im Griff hat.

Nota bene:
19:25” war die Zeit, zu welcher die Synagoge nicht bewacht war. Und zwar nicht nur für 15 Sekunden.

Und es unterstehe sich einer, mir für so etwas eine Auszeichnung anzutragen. Nach dem Tanach gehöre ich zu einer der 3 Generationen, die für die Greueltaten ihre Vorväter einstehen müssen. Dafür wird man nicht ausgezeichnet. Ich sehe mein Vorgehen eher als das eines Whistleblowers. Und ich bin es auch Sohn#2 schuldig. Damit ich immer gerade vor ihm stehen kann. Und ohne Scham in den Spiegel gucken, das will ich auch können.

Update / 2010-07-27 06:51 :

Der Vorgang liegt jetzt bei “Der Polizeipräsident in Berlin / Interne Revision / IR 42“.

Update / 2010-07-28 10:45 :

Der Vorgang liegt jetzt bei Der Polizeipräsident in Berlin / Dir ZA St 331” und wird als Dienstaufsichtsbeschwerde behandelt.


Update / 2010-08-10 12:50 :


Ich bekomme telefonische Rückmeldung von der Internen Revision.
Die Situation der Bewachung habe sich in der Vergangenheit geändert. Der Posten müsse nun nicht mehr am Vordereingang der Synagoge stehen.
OK, dann war der Aufenthaltsort der beiden Beamten ja sogar durchaus im Einklang mit ihrer dienstlichen Vorgabe.
Aber … sie bekommen jetzt wegen des Kaffees einen an die Backe.
Das tut mir nun aber echt außerordentlich leid, und bitte Sie genau dafür um Entschuldigung.
Das habe ich auch so ausrichten lassen.
War ein außerordentlich nettes Telefonat.
Sache für mich erledigt.


(Meine Güte: wieviele Orthographie-Fehler gab es hier oben!!! Ich schäme mich etwas.)


Update / 2011-01-27:

Mein Sohn Baruch hasst mich für diese Aktion.
Na, ja… – er ist eben 13, er versteht nicht, warum in Deutschland Synagogen von der Polizei bewacht werden (müssen), und er sammelt insgesamt gerne Minuspunkte gegen mich, weil er damit Pluspunkte bei seiner Mutter sammeln will.

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